Nassau-Saarbrücker Landgarden und Leibgrenadiere: zwei Schriftstücke
1. Dekret des Fürsten Ludwig zu Nassau-Saarbrücken aus dem Jahr 1790 zur Einführung des Philipp Christian Schneider in die Funktion des Landhauptmanns
Einfach gefalteter Bogen Büttenpapier, Seitengröße 32 x 20,5 cm, später nochmals mittig über Kreuz gefaltet, erste Seite mit Tinte beschriftet, Text von anderer Hand als Unterschrift, oben Prägestempel mit gekröntem Wappen, flankiert von zwei aufgerichteten Löwen [Bild], erstes Blatt mit Wasserzeichen, ein von geschweiften Ornamenten umgebenes ovales Feld mit Lilie darstellend [SW-Bild, neg./pos.], zweites Blatt mittig eingerissen, Riss mit Papierstreifen überklebt, dieser verdeckt z.T. das Wasserzeichen "PAPETERIE ROYALE K[..]NPR[..]AEN[.](?) [SW-Bild, neg./pos.]
Transkription:
D. 6 (Kreuze)r
Decretum
Nachdeme Wir gnädigst resolvirt haben
den Philipp Christian Schneider seinem Vatter
in dem Landhauptmannsdienst dergestal=
ten zu adjungiren, daß derselbe als dermali=
ger LandGardenUnterofficier von seinem Vatter
darinn behörig angeführet werde,
und er adjunctus sich mit allem Fleiß dazu
applicire, so verwilligen Wir ihme Unter=
officier Schneider zu einer mit diesem Jahr
angehenden jährlichen Besoldung einhundert
acht Gulden aus der Generalcaße, alle zweÿ Jahr
neue Montur daher und alle vier Jahr einen
Regenrok samt Bandelier, so lange lezteres
dauert, wie auch das verordnete Anteil von
denen auf seine Anzeige angesezt werden=
den Strafen. Saarbrücken, den 5ten Januar 1790.
L(udwig) F(ürst zu) N(assau) ... <Saarbrücken>
Taxa 30
Stemp(elgeld) 6
Erläuterung:
Der Landgardenunteroffizier Philipp Christian Schneider sollte von seinem
Vater in dessen Funktion des Landhauptmanns eingewiesen werden, wohl um
später einmal seine Stelle übernehmen zu können. Bei den Landgarden handelte
es sich um die Polizei des kleinen Fürstentums Nassau-Saarbrücken; der
Landhauptmann war so etwas wie ein Polizeipräsident. Da der Polizei die
öffentliche Ordnung im Lande oblag, wurde sie aus der Landkasse finanziert;
das waren Gelder, die nicht im privaten Ermessen des Fürsten standen,
sondern für Aufgaben der Landesverwaltung reserviert waren. Im Gegensatz
dazu, was man sich unter Landgarden vorstellen könnte, waren die
nassau-saarbrückischen Landgarde keine fürstliche Gardetruppe, sondern eben
Landespolizei. Neben seinem Lohn erhielt der Landgardenunteroffizier
Schneider (wie auch beim Militär üblich, aus dem sich die Polizei um die
Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelte) alle zwei Jahre eine neue Uniform
und alle vier Jahre einen schweren Filzmantel ("Regenrock"). Das Bandelier,
ein breiter Schultergurt, an dem üblicherweise eine Tasche (Patronentasche
oder Brieftasche) hing, sollte ersetzt werden, wenn es nicht mehr brauchbar
war, so lang es eben hielt. Außerdem erhielt der wackere Polizist einen genau
festgesetzten Anteil an den Bußgeldern, die er eintrieb.
2. Im Jahr 1806 angefertigter Auszug aus dem Kirchenbuch der lutherischen Pfarrei St. Johann aus dem Jahr 1774, Johann Christian Schneider betreffend
Einfach gefalteter Bogen Büttenpapier, Seitengröße 29 x 21 cm, später zweifach mittig über Kreuz gefaltet, erste Seite mit Tinte beschriftet, Abschrift aus dem Kirchenbuch von anderer Hand als französischsprachige Anmerkung unten, Stempel oben links, darunter Prägestempel mit Marianne und Gallischem Hahn, Umschrift "ADM. DES DOM. DE L'ENREG. ET DU TIMBRE REP. FRA." [Bild], unten links geprägtes Papiersiegel [Bild], mittig im Bogen (=im Knick) ovales Wasserzeichen mit Umschrift "Timbre National RF", im Mittelfeld stehende Marianne [Bild].
Transkription:
Extrait
du Régistre des Naissances de la Paroisse Lutherienne
de St. Jean, Déposé aux Archives de la Mairie de
Saarbruck, Dep(artemen)t de la Sarre
de l’an 1774
Johann Christian, H(errn) Nikel Schneiders,
Lieutenant beÿ den hiesigen Leibgrenadiers, et uxoris
Annae Marthae gebohrene Kekin, Söhnlein, ward
gebohren den ..... Julÿ und getauft den 3t(en) ejusdem 1774,
Taufzeugen sind gewesen: H(err) Johann Christian Lex,
Hauptmann von den hiesigen LeibDragonerCompagnie,
H(err) Phil(ipp) Henr(ich) Beer, Weisenschreiber zu Saarbrüken
und Fr(au) Sophia Spitznasin.
p(ou)r Extrait Conforme.
Delivré à la Mairie de Saarbruck le 14 janvier
1806. Le Secretaire en Chef.
Hild
Pour president du tribunal de premiere
Instance séant à Sarrebruck certifiant
que le signature ci dessus est celle du Sieur
J. Hild, secretaire en Chef de la mairie de
Sarrebruck et que foi doit y être ajouté.
Sarrebruck le quatorze Janvier
mil huit cent six.
[Unterschrift]
Erläuterung:
Bei dem zweiten Schreiben handelt es sich um einen beglaubigten Auszug aus
dem Kirchenbuch bzw. Geburtsregister der lutherischen Pfarrei St. Johann
aus dem Jahre 1774, den der Chefsekretär (etwa: Amtsleiter) der Mairie
Saarbrücken Hild zu napoleonischer Zeit 1806 ausfertigte, möglicherweise
zur Vorlage beim Amtsgerichtspräsidenten (Gericht erster Instanz).
Demnach ist Johann Christian Schneider als Sohn des Leutnants der Saarbrücker
Leibgrenadiere Nikel Schneider und seiner Ehefrau Anna Martha Keck und am 3.
Juli 1774 getauft worden, nachdem er kurz zuvor geboren worden sein dürfte,
was damals aber niemanden interessierte.
Die Leibgrenadiere (unter Fürst Wilhelm Heinrich ein Bataillon stark, unter
Fürst Ludwig auf eine Kompanie verringert) waren die fürstlichen
Haustruppen, sozusagen die Armee des Fürstentums, von der es nur diese Garde
als Eliteeinheit gab, aber keine weiteren Infanterieregimenter existierten.
Als Pate fungierte der Hauptmann der nassau-saarbrückischen
Leibdragonerkompanie, die die Gardekavallerie des Fürstentums darstelle und
abwechselnd in anderen Uniformen auch als Leibhusarenkompanie auftreten
konnte. Hier geht es also um nassau-saarbrückische Militäreinheiten, die
neben der Kreiskompanie (als nassau-saarbrückischem Anteil der Reichsarmee)
und den zahlenmäßig viel bedeutenderen Fremdenregimentern in
königlich-französischem Dienst existierten. Der Waisenschreiber ist der Chef
der nassau-saarbrückischen Vormundschaftsbehörde, die sich um die Versorgung
von Waisen zu kümmern hatte; es gab pro Oberamt (Saarbrücken, St. Johann,
Ottweiler, Harskirchen) einen Waisenschreiber. Beim Familiennamen der Damen
wird noch die weibliche Namensform gebraucht: Kekin = Frau Keck, Frau
Spitznas(in).
Literatur: Zum Saarbrücker Militärwesen und zur Polizei im Ancien Régime vgl. Kurt
Hoppstädter, Unter dem nassauischen Löwen, Das Militärwesen in der
Grafschaft Saarbrücken, Mitteilungen des Historischen Vereins für die
Saargegend, Neue Folge, Heft 2, Saarbrücken 1957.
Transkriptionen und Erläuterungen: Bureau für Kulturgeschichte, Dr. Hans-Joachim Kühn, März 2011.
Digitalisate (Fotos, Scans), Webseite: Jan Selmer, April 2011.
Die Ergebnisse der Untersuchungen (1995) der Bestattungen der Fürsten Wilhelm Heinrich und seines Sohnes Ludwig von Nassau-Saarbrücken sind hier einzusehen.