HOCH

Die zahnmedizinischen Untersuchungsergebnisse des Leichnams des Fürsten Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücken
(6.3.1718 - 24.7.1768)

Text: Dieter Buhmann

Wissenschaftliche Bearbeitung:
Dr. med. Dieter Buhmann
Institut für Rechtsmedizin, Homburg Saar
Leiter: Prof. Dr. med. Jochen Wilske

Rudolf Kaiser, Arzt und Zahnarzt, Blieskastel

Fotografien: Holger Summa, Institut für Anatomie, Homburg Saar

Umsetzung ins WWW: Jan Selmer


Die Durchführung des Projektes erfolgte in Kooperation mit dem Staatlichen Konservatoramt des Saarlandes.

Inhalt



1. Zahnmedizinische Untersuchungen   [Zum Inhaltsverszeichnis]


1.1. Makroskopischer Befund   [Zum Inhaltsverszeichnis]

Zu Beginn der zahnmedizinischen Untersuchungen werden alle Kieferabschnitte fotografisch dokumentiert. Anschließend wird eine Röntgenübersichtsaufnahme von Ober- und Unterkiefer angefertigt. Die Untersuchung der Zähne und des Zahnhalteapparates ergibt folgende Befunde:

1.1.1. Oberkiefer   [Zum Inhaltsverszeichnis]

Die Regio 18 (Weisheitszahn) zeigt eine vollständige Verknöcherung des ehemaligen Knochenfaches. Im Knochenfach des 2. Mahlzahnes (Zahn 17) befinden sich auf der rechten Seite die Reste beider Wurzeln. Der 1. Mahlzahn (Zahn 16) ist wegen fehlendem Gegenbiß über die ehemalige Kauebene hinaus gewachsen. Seine Kaufläche ist kariesfrei. Man erkennt deutlich den bis zum ehemaligen Zahnfleischsaum gelegen Zahnstein, auch der 2. Vormahlzahn (Zahn 15) ist in gleichem Umfang davon betroffen (Abb. 1).

Rechte Oberkieferseite
Abb. 1: Rechte Oberkieferseite

Der davor liegende 1. Vormahlzahn (Zahn 14) ist nur noch als Wurzelrest vorhanden. Die Zähne in der Oberkieferfront haben dunkle Beläge aus mumifiziertem Weichteilgewebe. Kariöse Defekte sind auf der labialen Seite nicht nachweisbar (Abb. 2).

Oberkieferfront
Abb. 2: Oberkieferfront

Auf der linken Seite ist im Oberkiefer zu Lebzeiten der Weisheitszahn (Zahn 28) vor langer Zeit verloren gegangen. Vom zweiten Mahlzahn (Zahn 27) befinden sich nur noch die Wurzelreste in ihrem Zahnfach. Der 1. Mahlzahn (Zahn 26) weist eine metallisch glänzende Füllung auf der Außenfläche auf. Er ist zudem über die Kauebene hinaus gewachsen, da der Antagonist vor langer Zeit verloren ging ( Abb. 3).

Füllung
Abb. 3: Linke Oberkieferseite mit Füllung im Zahn 26

Ferner ist auf der Aufnahme die Fenestration im Bereich der vorderen Zahnwurzelspitze des Zahnes 26 gut erkennbar. Der Zahnsteinbefall an diesem Zahn ist gering, Karies ist nicht nachweisbar.

Die Aufsichtaufnahme der Oberkieferzähne läßt eine deutliche Abkauung im Bereich der Zahnfront erkennen. Hiervon sind insbesondere die seitlichen Schultern der Eckzähne betroffen. Die Abkauung der ersten Oberkieferzähne ist als deutliche zentrale Rillenbildung erkennbar, wobei das Dentin durch die erhebliche Abkauung freigelegt worden ist (Abb. 4). Der 1. rechte Mahlzahn (Zahn 16) hat auf der Kauebene eine zentral liegende metallisch glänzende kleine Füllung. Die Kauflächen der noch vorhandenen Zähne des Oberkiefers sind kariesfrei. In den Grübchen und Rillen der Backenzähne sind geringe Zahnsteinreste vorhanden.

Die Austrittsöffnung (Foramen incisivum) der Gaumen-Nasennerven (Nn. nasopalatini) ist relativ groß ausgebildet. Diesem Befund kommt kein Krankheitswert zu.

Oberkiefer in der Aufsicht
Abb. 4: Der Oberkiefer in der Aufsicht

1.1.2. Unterkiefer   [Zum Inhaltsverszeichnis]

Der Unterkiefer weist auf seiner rechten Seite den Verlust des 1. und
2. Mahlzahnes auf Zahn 46 und 47), der lange vor dem Tode eingetreten ist. Der dahinter liegende Weisheitszahn (Zahn 48) ist durch den Verlust der Zähne in die entstanden Lücke vorgewandert und mit der Krone nach vorne gekippt. Der Weisheitszahn hat einen deutlichen Zahnsteinbefall (Abb. 5).

Rechte Unterkieferseite
Abb. 5: Rechte Unterkieferseite

Unterkieferfront
Abb. 6: Unterkieferfront

Die Aufnahme der Unterkieferfront zeigt den Verlust des 1. rechten Schneidezahnes (Zahn 41) vor langer Zeit (Abb. 6). Durch diesen Zahnverlust sind die benachbarten Zähne in die entstandene Lücke gewandert. Hierbei haben die Kronenspitzen miteinander Kontakt erhalten, wohingegen die wurzelnahen Zahnanteile noch einen deutlichen Abstand zueinander haben. Die Front der Schneidezähne zeigt einen mittleren Zahnsteinbefall bis auf die Höhe des ehemaligen Zahnfleischsaumes. Zudem ist ein vertikaler Knochenabbau erkennbar im Sinne einer mittelschweren Paradontose. Nebenbefundlich ist auf der linken Kinnseite noch etwas mumifiziertes Weichteilgewebe mit vereinzelten Barthaaren erkennbar.

Linke Unterkieferseite
Abb. 7: Linke Unterkieferseite

Die Abbildung 7 zeigt die linke Unterkieferseite mit dem Fehlen des 1. und 2. Mahlzahnes (Zahn 36 und 37). Der Kieferkamm ist erheblich zurückgebildet, wie man es typischerweise bei fehlendem Gegenbiß bzw. prophetischem Ersatz dieser Zähne findet. Der Weisheitszahn ist etwas aufgewandert und mit der Krone nach vorne gekippt. An diesem Zahn fehlt Zahnstein fast vollständig. Der Knochenschwund ist geringer als auf der Gegenseite.

Die Aufsichtsaufnahme des Unterkiefers läßt die erhebliche Abkauung der Frontzähne erkennen (Abb. 8). Hiervon sind besonders die seitlichen Schultern der Eckzähne betroffen. Die Abkauung der verbliebenen Vormahl- und Mahlzähne ist hingegen nur ganz minimal. Dieses erklärt sich durch das Fehlen der Antagonisten im Oberkiefer. Die Kauarbeit mußte deshalb fast ausschließlich von den Frontzähnen übernommen werden.

Unterkiefer in der Aufsicht
Abb. 8: Unterkiefer in der Aufsicht

Die Zahnfächer der verloren gegangenen Backenzähne auf der linken Seite sind vollständig geschlossen wie bei Zahnverlust vor langer Zeit. Auf der rechten Seite findet sich hingegen ein leeres Knochenfach der hinteren Wurzel des 2. Mahlzahnes. Das Knochenfach der vorderen Wurzel ist hingegen ganz geschlossen. Dieses bedeutet, daß bei der Extraktion dieses Zahnes nur die Wurzel mit der Krone entfernt wurde und die hintere Wurzel als Rest im Kiefer verblieb. Sie ist erst später ausgefallen oder gezogen worden. Das Knochenfach dieser Wurzel zeigt einen geringen knöchernen Verschluß, somit ist dieser Wurzelrest geringe Zeit vor dem Ableben des Fürsten Wilhelm Heinrich verloren gegangen.

1.2. Radiologischer Befund   [Zum Inhaltsverszeichnis]

In der Röntgenübersichtsaufnahme (Orthopantomogramm, OPG, Abb. 9) findet sich im Bereich der Wurzelreste des zweiten Mahlzahnes auf der rechten Seite eine Zyste an der vorderen Wurzelspitze. Der Rand der hinteren Wurzelspitze zeigt eine unscharfe Aufhellung als Zeichen einer chronischen Entzündung. Der übrige Zahnhalteapparat des Oberkiefers ist entzündungsfrei. Der Wurzelrest des 2. linken Mahlzahnes ist im oberen Anteil noch im Verbund. Der erste rechte Mahlzahn ist deutlich über die Kauebene hinausgewachsen. Die Frontzähne sind ohne Besonderheiten.

Panorama-Röntgenaufnahme
Abb. 9: Panorama-Röntgenaufnahme der Kiefer (OPG)

Der Unterkiefer weist auf der linken Seite die deutliche Rückbildung des Kieferkammes auf durch den Zahnverlust vor langer Zeit. Rechts ist vor dem Weisheitszahn das leere Knochenfach der hinteren Wurzel des 2. Mahlzahnes erkennbar (Zahn 47). Dieses ist kolbenförmig aufgeweitet wie bei länger währender Entzündung.

Metallfüllungen
Abb. 10: Die Metallfüllungen der Zähne 25 und 26.

Auffallend sind die zwei Verschattungen des 1. linken Mahlzahnes (Zahn 16), die kleine Verschattung des 2. linken Vormahlzahnes (Zahn 15) und die Verschattung des 1. rechten Mahlzahnes (Zahn 26). Hierbei handelt es sich um metallische Füllungen der betreffenden Zähne (Abb. 10).

Zahnschema
Zahnschema. Die durchgehende gewellte Linie gibt den vertikalen Knochenabbau an. Die unteren Weisheitszähne sind nach innen gewandert und leicht gekippt (-> <-). Die geschwärzten Linien an den Zahnkanten der Frontzähne geben den Abkauungsgrad wieder. Die Zähne 31 und 42 sind zueinander gewandert und haben die Lücke von ehemals 41 auf Höhe der Kaukanten geschlossen.

Vorstehend ist das Zahnschema dargestellt. Die schwarzen Flächen an den Spitzen der Frontzähne stellen den Grad der Abkauung dar. Die eingezeichneten Punkte entsprechen den metallischen Füllungen. Die Pfeile über den Unterkiefer-Frontzähnen zeigen die Wanderung nach dem Verlust des ersten rechten Schneidezahnes (Zahn 41) und die durchgezogene Linie auf Höhe der Wurzeln der Zähne dem vertikalen Knochenabbau zu Lebzeiten. Die Schwärzung an dem Zahn 47 stellt die kolbige Ausweitung im Bereich der Wurzelspitze im leeren Knochenfach dar. Die Schwärzung an der vorderen Wurzelspitze des Zahnes 27 zeigt die Zyste in diesem Bereich. Der Ober- und Unterkiefer selbst ist frei von Tumorgewebe.

1.3. Rasterelektronenmikroskopische Untersuchung des Zahnes 26   [Zum Inhaltsverszeichnis]

1.3.1. Beschaffenheit der Füllung im Zahn 26   [Zum Inhaltsverszeichnis]

Der 2. linke Mahlzahn hat auf der Wangenseite annähernd in der Mitte des Schmelzes der Krone eine kreisrunde metallisch glänzende Füllung. Der nach vorne weisende Rand am Übergangsbereich zwischen der Füllung und dem Zahnschmelz weist kleine halbrunde Defekte auf, die von einer Zahnbehandlung mittels eines Schabers oder Bohrers herstammen können (Abb. 11). Die Oberfläche der Füllung ist bei starker Vergrößerung nicht absolut glatt. Eine Ursache hierfür ist momentan nicht sicher anzugeben.

Bukkale Füllung
Abb. 11: Vergrößerung des Zahnes 26 mit der bukkalen Füllung

Zur Beurteilung der Beschaffenheit der Metallfüllung wurde der Zahn am Institut für Anatomie, Prof. Dr. med. E. Mestres, im Rasterelektronenmikroskop untersucht. Hierfür wurde der Zahn mit Kohlenstoff beschichtet, um eine elektrische Leitfähigkeit herzustellen. Anschließend wurde er in die Hochvakuumkammer des Elektronenmikroskopes verbracht. Mit dieser Untersuchungstechnik ist es möglich, die Verarbeitungsgenauigkeit der Zahnfüllung zu beurteilen (BERTIN, E.P. 1972, LEYDEN, D.E. 1983, LEYDEN, D.E. 1984, TERTIAN, R. CLAISSE, F. 1982). Die Abbildung 12 zeigt die Füllung im Zahnschmelz. Im oberen Bildanteil ist ein Spalt zwischen der Füllung und dem Zahnschmelz trotz der hohen Auflösung nicht zu erkennen. Auf der linken Bildseite sind Teile der Füllung schlierenartig auf den Zahnschmelz aufgetragen, was von der Verarbeitungstechnik herrühren kann. Der Zahnschmelz selbst zeigt feine Risse. Diese stammen am ehesten vom Vakuum der Untersuchungskammer her, da das Vakuum durch Entzug flüchtiger Bestandteile zu einer fast vollständigen Austrocknung des Zahnes führt. Die Zahnschmelzdefekte sind mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht zu Lebzeiten vorhanden gewesen.

REM Zahn 26
Abb. 12: Rasterelektronenmikroskopisches Bild der Füllung des Zahnes 26

Die Abbildung 13 zeigt auf der linken Seite einen Teilbereich des Randes zwischen der Füllung und dem Zahnschmelz. Der eingeblendete Maßstab bezieht sich auf die rechte Bildhälfte. Der gewählte Ausschnitt für die Vergrößerung ist in der linken Bildhälfte eingeblendet. Rechts ist die Ausschnittsvergrößerung abgebildet. Auch hier ist im Randbereich zwischen Füllung und Zahn nur angedeutet ein Spalt erkennbar. An anderen Randzonen zeigt sich der Spalt zwischen Füllung und Zahnschmelz etwas deutlicher (Abb. 14).

REM Füllung Zahn 26
Abb. 13: Rasterelektronenmikroskopisches Bild der Füllung des Zahnes 26

REM Füllung Zahn 26
Abb. 14: Rasterelektronenmikroskopisches Bild der Füllung des Zahnes 26.
Rechts jeweils die Detailaufnahme des Spaltes zwischen Füllung und Zahnschmelz.

1.3.2. Elementbestimmung der bukkalen Füllung des Zahnes 26   [Zum Inhaltsverszeichnis]

Im gleichen Arbeitsgang können im Rasterelektronenmikroskop mittels energiedispensiver Röntgenfluoreszenz-Analyse (EDXRF) die Elemente der Metallfüllung zerstörungsfrei bestimmt werden. Hierbei können nur jeweils kleine Oberflächen untersucht werden. Die folgenden Spektren zeigen die Elementzusammensetzung der Füllung des Zahnes 26. Aus der Auswertung der Spektren kann der Schluß gezogen werden, daß metallisches Zinn als Material für die Füllung verarbeitet wurde. Ein derartiger Befund ist für die Saarregion bisher nicht beschrieben worden.

Spektrum 1

Spektrum 1
Elements
Conc.
Weight %
Conc.
Atomic %
Net
Intensity

K-Ratio
P Ka 002,68 008,66 00025.1 0,0087
Ca Ka 003,83 009,56 00098.1 0,0334
Si Ka 001,10 003,91 00008.1 0,0027
Sn La 092,39 077,87 00531.7 0,9552

Spektrum 2

Spektrum 2
Elements
Conc.
Weight %
Conc.
Atomic %
Net
Intensity

K-Ratio
P Ka 001,23 004,26 00012.8 0,0039
Ca Ka 002,09 005,60 00060.9 0,0179
Si Ka 000,85 003,28 00007.1 0,0020
Sn La 095,83 086,87 00628.7 0,9762



2. Kurzer Beitrag zur Geschichte der Zahnfüllungen   [Zum Inhaltsverszeichnis]

2.1. Erste Beschreibungen und Nachweise von Zahnfüllungen   [Zum Inhaltsverszeichnis]

Erste Berichte über das Plombieren von Zahnkavitäten sind uns aus der römischen Zeit überliefert. Der Dichter Martialis (40 - 101) berichtet in einem Gedicht "Eximit aut rificit dentem Cascellius aegrum" "Cascellius zieht den kranken Zahn oder bessert ihn aus". Nach H. L. STRÖMGREN (1935) kann unter reficere auch ersetzen verstanden werden, was auf einen prothetischen Zahnersatz hinweisen würde. Als frühe provisorische Füllungsmaterialien sind bekannt: Wachs, Mastix (das Harz der Pistacia lentiscus zusammen mit Alaun nach dem arabischen Arzt Razih, 10. Jh.), Tacamahac (Harz aus Calophyllum, Asien), Ambra (das Sekret des Pottwales) und Wattekügelchen, welche zuvor in Medikamente getaucht wurden.

Die ersten Metallfüllungen wurden seit dem 16. Jahrhundert eingebracht. So berichtet Stocker bereits im Jahre 1528 von der Verwendung des Amalgam als Füllungsmaterial (P. RIETHE 1966, M. STRAUB 1978). In der Folgezeit wurden Zinn, Blei, Gold, Kupfer, Vitriol (Kupfersulfat) und Cadmium verwendet (L. KRÄMER 1968), welche meist als Folien in die Kavitäten eingebracht wurden und diese dann in vielen Lagen übereinander fest stopfte, bis die Kavität geschlossen waren. Eine Vorbehandlung wurde ebenfalls durchgeführt, in dem man die Kavität ausfeilte und ausbrannte. Um dem Patienten hierbei keine Brandverletzungen zuzufügen, wurde die Wange mit einem Löffel zur Seite gehalten. Eine Schmerztherapie vor oder nach einer solchen Behandlung erfolgte nicht. Die Instrumente, welche man hierbei benützte, zeigt die Abb. 15 aus dem Lehrbuch von Pfaff, königlicher Hofarzt, in Berlin im 18. Jahrhundert.

Instrumente, 18. Jh.
Abb. 15: Zahnärztliches Instrumentarium aus dem 18. Jahrhundert

Den ersten Nachweis einer derartigen Füllung gelang P. RIETHE und A. CZARNETZKI im Jahre 1983 bei ihrer Untersuchung der Bestattung der Prinzessin Anna Ursula von Braunschweig und Lüneburg. Sie verstarb im Jahre 1601 im Alter von 28 Jahren in Kirchheim (Württemberg) und wurde in Crailsheim beigesetzt. Die Untersuchung ergab im ersten oberen rechten Mahlzahn eine größere Füllung aus Amalgam und eine kleinere Goldfolienfüllung.

Einen ersten Nachweis von Zinnfüllungen konnte K. W. ALT 1993 bei der Untersuchung der historischen Grabfunde aus Saint-Hippolyte, Le Grand-Saconnex in Genf nachweisen. Bei der Bestattung aus Grab 37 handelt es sich wahrscheinlich um den Rechtsanwalt Trosset d'Hericourt aus Paris, der in Genf im Jahre 1761 im Alter von 58 Jahren in Genf verstarb und in Saint-Hippolyte beigesetzt worden war. Der Zahn 37 wies eine reine Zinnfüllung auf. Dieser Befund entspricht den Untersuchungsergebnissen am Zahn 26 von Wilhelm Heinrich.
Fauchard Es stellt sich somit die Frage, wie es um die Entwicklung der Zahnmedizin in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, der Lebenszeit von Wilhelm Heinrich und Trosset d'Hericourt bestellt war. In diese Zeit fällt die Schaffensperiode des bekanntesten französischen Zahnarztes Fauchard aus Paris und seiner 30 Schüler, darunter zwei Frauen, welche im frühen 18. Jahrhundert beginnt. Fauchard gilt als Begründer der modernen Zahnheilkunde (GREVE, C. 1931). Sein im Jahre 1728 erschienenes Werk wurde bereits 1733 ins Deutsche übersetzt (FAUCHARD, P. 1733). In Deutschland veröffentlichte Pfaff im Jahre 1756 seine Abhandlungen von den Zähnen des menschlichen Körpers und deren Krankheiten (PFAFF, P: 1756). Beide Schulen betonten die Wichtigkeit der Zahnpflege ebenso wie die Nützlichkeit von Zahnfüllungen mittels Metallplomben. Beide wußten gleichermaßen um die unterschiedlichen Eigenschaften der verschiedenen Metalle, welche für die Plombierungen verwendet werden konnten, wobei Fauchard dem weicheren Zinn den Vorzug gab, da ihm hiermit der bessere Verschluß der Kavität möglich schien. Selbst vor Abrechnungsbetrug hat Fauchard bereits gewarnt, da einige Scharlatane Zinnfolien mit Safran goldgelb einfärbten und den Patienten den Preis für Zahngold abverlangten, bevor sie das Weite suchten.

Man mag geneigt sein zu glauben, bei den erwähnten Befunden aus Genf und bei Wilhelm Heinrich zwei Patienten der Pariser zahnmedizinischen Schule vor sich zu haben, da Wilhelm Heinrich zu Lebzeiten häufig und für längere Zeit am französischen Hof weilte und der in Genf beigesetzte Anwalt Trosset d'Hericourt aus Paris stammte. Daß es sich um Arbeiten von Fauchard selbst handelt, ist eher unwahrscheinlich. Er wurde im Jahre 1678 geboren und verstarb 1761 mit 82 Jahren. Würde man unterstellen, daß er die Arbeiten angefertigt hat, dann hätte er die Plomben im hohen Alter einbringen müssen. Zudem wären dann die Plomben bei Wilhelm Heinrich noch weitere 7 Jahre im Zahn verblieben, ohne daß sich Karies im Randbereich ausgebildet hat. Es erscheint somit wesentlich wahrscheinlicher, daß eine seiner zwei Schülerinnen oder einer seiner 28 Schüler die Zahnbehandlung durchgeführt haben. Die Kontakte Wilhelm Heinrichs nach Berlin waren nur gering, so daß es wenig wahrscheinlich ist, daß die Behandlung dort durchgeführt wurde. Die Tätigkeit eines ausgebildeten Zahnarztes in Saarbrücken für diese Zeit bisher nicht belegt.

3. Untersuchung zur Bleibelastung zu Lebzeiten am Zahn 26   [Zum Inhaltsverszeichnis]

3.1. Untersuchungsgang und Ergebnis   [Zum Inhaltsverszeichnis]

Zu Lebzeiten aufgenommenes elementares Blei lagert sich im Knochen und im Zahn des Betreffenden ab und bleibt auch über den Tod in nahezu unveränderter Konzentration in diesen Substanzen erhalten. Mittels gleicher EDXRF-Technik, wie sie bei der rasterelektronenmikroskopischen Untersuchung angewendet wurde, jedoch in einer anderen Vakuumkammer, ist es möglich, größere Oberflächen auf ihre Elementzusammensetzung zu untersuchen. Diese Technik hat sich für den Bleinachweis im Zahn als besonders geeignet erwiesen (TRACOR XRAY INC. 1985, TRACOR XRAY INC. 1986, WITTIG, W.J. 1960). Die Untersuchungen führte Herr Prof. Dr. rer. nat. R. Wennig vom Laboratoire Nationale de Santé in Luxembourg durch. Die Untersuchung verlief negativ, eine erhöhte Bleibelastung zu Lebzeiten lag also bei Wilhelm Heinrich nicht vor.

3.2. Interpretation des Ergebnisses der Bleiuntersuchung   [Zum Inhaltsverszeichnis]

Hohe Bleibelastungen und -vergiftungen kam in damaliger Zeit bei der Bleiverarbeitung, durch das Herauslösen von Blei durch Säuren aus bleihaltigem Zinn und bleihaltigen Glasuren des verwendeten Porzellans oder bei der Verwendung von Bleirohren für das Frischwasser vor (GRANDJEAN, P., JOERGENSEN, P.J. 1990, LYNGBYE, T. 1990, MANUWALD, O. 1989, SHAPIRO, I.M., NEEDLEMAN, H. L., TUNCAY, O.C. 1972, SPECHT, W., FISCHER, K., KATTE, W., BERG, S., HRABOWSKI, H. 1959).

Der negative Befund einer möglichen Bleibelastung Wilhelm Heinrichs erscheint auf den ersten Blick nicht erstaunlich. Anders sieht es jedoch aus, wenn man diesen Befund vor dem Hintergrund der Untersuchungsergebnisse von K. B. M. Louis (1993) betrachtet. Er untersuchte die Skelettfunde aus der Stiftskirche St. Arnual in Saarbrücken, in der u.a. auch die Grafen von Nassau-Saarbrücken, die Vorfahren von Fürst Wilhelm Heinrich, beigesetzt worden sind. Er konnte durch seine Untersuchungen zur Bleibelastung feststellen, daß 24 Personen, welche alle der Neuzeit zuzuordnen waren, teilweise extrem hohe Bleiwerte aufwiesen entsprechend einer chronischen Bleivergiftung. Bei Abwägung aller Möglichkeiten führte er diese Bleivergiftungen auf den Einbau von Bleirohren im Schloß der Grafen zurück. Einer derartigen Exposition hätte dann jedoch auch Wilhelm Heinrich ausgesetzt gewesen sein müssen. Der Nachweis einer fehlenden Bleibelastung Wilhelm Heinrichs muß somit zu einer neuen Betrachtungsweise der Ergebnisse von M. Louis über die Ursache der hohen Bleiexposition seiner Skelettfunde führen.

4. Weitere Untersuchungsvorhaben   [Zum Inhaltsverszeichnis]

In einer ersten Untersuchung wurden zeitgenössische Gemälde Wilhelm Heinrichs mittels der Videomischbildtechnik nach Helmer auf ihre Genauigkeit der Gesichtsdarstellung überprüft. Hierbei fanden sich bei zwei Gemälden hohe Grade der Übereinstimmung, zwei Gemälde hingegen könnten evtl. seinen Sohn Ludwig zeigen. Diese Ergebnisse werden zur Zeit weiter überprüft. Ein gesonderter Bericht ist in Vorbereitung


Danksagung:   [Zum Inhaltsverszeichnis]

Für die großzügige Unterstützung bei der Durchführung der medizinischen Untersuchungen gilt unser besonderer Dank

Herrn Prof. Dr. med. J. WILSKE, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin, Herrn Prof.em. Dr. med. H.-J. WAGNER, ehem. Direktor des Instituts für Rechtsmedizin, Frau cand. med. Jacqueline WAGNER, Frau Ruth KLINGLER, Institut für Rechtsmedizin, Herrn Stefan BREGEL, Institut für Rechtsmedizin,

Herrn Prof. Dr. med. B. KRAMANN, Direktor der Abteilung für Radiodiagnostik, Frau Birgitt Steinacker, Abteilung für Radiodiagnostik,

Herrn Oberarzt Dr. LANDAU, Abteilung für Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie,

Herrn Prof. Dr. med. E. MESTRES, Institut für Anatomie, Herrn Norbert PÜTZ, Institut für Anatomie (REM),

Herrn KLOTZ, Institut für Med. Mikrobiologie und Hygiene. (alle Universität des Saarlandes, Homburg)



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